Milan Kundera: „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ oder der Gegensatz zwischen "leicht" und "schwer"

Milan Kundera: „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ oder der Gegensatz zwischen leicht und schwer

 

„[…] was ist positiv, das Schwere oder das Leichte?

Parmenides antwortete: Das Leichte ist positiv, das Schwere ist negativ.

Hatte er recht oder nicht? Das ist die Frage. Sicher ist nur eines: Der Gegensatz von leicht und schwer ist der geheimnisvollste und vieldeutigste aller Gegensätze.“

 

Dieses Zitat aus Milan Kunderas Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ möchte ich meinen Gedanken zu diesem Werk voranstellen. Bekannt geworden bin ich mit dem Autor vor vielen Jahren, als die Verfilmung des Textes in die Kinos kam. Damit begann eine Reise durch Kunderas literarisches Schaffen, welches mich schon damals fasziniert hat. Der Film war und ist (immer noch) gut, aber natürlich hat der Roman noch viele Facetten, die in einem Film nicht umgesetzt werden können. Eine adäquate filmische Adaptierung von Kunderas Werken ist auch deshalb so schwierig, da Kundera kein Erzähler im herkömmlichen Sinne ist, sondern ein Philosoph, der seine Figuren aus seinen Gedanken entstehen lässt. So sind Tomas, Teresa und Sabina in Figuren gegossene Gedanken.

Kundera dreht den Vorgang des herkömmlichen Erzählens um, indem er nicht die Interpretation dem Text folgen lässt, sondern aus der Interpretation die Handlung entstehen lässt. Dies ist in gewissem Sinne eine Verfremdung, eine Form des Erzählens, die in die Gegenwart vorausdeutet. Eine Gegenwart, in der sich die Frage stellt, ob herkömmliches Erzählen überhaupt noch möglich ist. Kunderas Roman ist eine Liebesgeschichte, die besonders der Film als Hauptelemente herausstreicht, wobei der Text genau so viel, wenn nicht mehr, Augenmerk der philosophischen Frage im Hintergrund widmet, sowie dem historischen Kontext des Pragers Frühlings. Die Liebesgeschichte ist eine „Dreiecksgeschichte“, konstruiert um die Gegensätzlichkeit der Begriffe „leicht“ und „schwer“. Die dem Buch vorangestellte Frage an den Philosophen Parmenides ist die Hintergrundthematik, die in verschiedensten Facetten abgehandelt wird. „Die Leichtigkeit des Seins“ ist wohl beim ersten Gedanken das, was wir uns alle wünschen. Das Leben soll leicht sein, von der leichten Geburt bis zum leichten Sterben. Besser der leichte Fehler als der schwere, besser leichtfüßig als schwerfällig, besser leicht von Gewicht als schwer. Also scheint die Frage im Sinne des Parmenides beantwortet. Allerdings lässt sich bei tieferer Betrachtung des Wortsinns auch anderes erkennen: Wollen wir eine leichte Liebe oder sollte diese nicht doch schwer und tief sein und Gewicht haben? Heißt schwer nicht auch, dass etwas bedeutsam ist und Bedeutung hat? Hat die Überwindung von etwas Schwerem nicht ganz andere Wichtigkeit als mit Leichtem herumzutun? Möchten wir nicht Tiefe statt Oberfläche? Was schätzen wir am Ende unseres Lebens als unsere Leistung ein? Die schwer erarbeiteten und tief gelebten Erfahrungen oder die leichten Dinge, die uns einfach so gelungen und von der Hand gegangen sind? 

Tomas, ein Prager Arzt, lebt die Leichtigkeit, in seinem Beruf, mit den Frauen, sein Leben ist einfach und ohne die Beschwertheit familiärer Bindungen und beruflicher Schwierigkeiten. Die Freiheit ist das Prinzip, nachdem er lebt. „Er hatte damals begriffen, dass er nicht dazu geboren war, an der Seite welcher Frau auch immer zu leben, und dass er nur als Junggeselle ganz er selber sein konnte.“

Doch eines Tages tritt Teresa in sein Leben und  es erscheint ihm, als ob er sie „in einem Körbchen aus dem Fluss“ gezogen hätte und sie ihm plötzlich anvertraut worden wäre. Alle seine sonst bei Frauen angewendeten Flucht-Szenarien funktionieren bei Teresa nicht. Teresa ist das Kind, das er von nun an zu versorgen hat. Sabina ist Tomas‘ „Langzeit-Geliebte“, die seinen Freiheitsdrang versteht, der genauso in ihr existiert. Eigentlich sind Tomas und Sabina das ideale Paar, bis Teresa in ihrer beider Leben gespült wird. Teresas Gefühlstiefe weckt auch in Tomas neue Empfindungen und er beginnt sie auf eine für ihn ganz neue Art zu lieben. Er verspürt Verantwortung für diese auf den ersten Blick einfache und naive Frau und Sabina bemerkt die neu entstandene Andersartigkeit, die von Tomas im Zusammenhang mit Teresa Besitz ergriffen hat. Aber Tomas kann die Leichtigkeit seines Lebens nicht ablegen und wenn sich ihm die Gelegenheit in Form von anderen Frauen bietet, muss er diese auch ergreifen. Das ist etwas, was Teresa nicht ertragen kann und deshalb die Beziehung der beiden unerträglich macht.

Inzwischen tritt die Schwere auch noch in anderer Form in Tomas‘ Leben. Der „Prager Frühling“ wird niedergeschlagen und die neue Freiheit der tschechischen Bevölkerung nimmt ein jähes Ende. Durch einen vor der Übernahme durch die Sowjet-Union verfassten kritischen Text,  den Tomas nicht bereit ist zurückzunehmen, verliert er seinen Beruf als Arzt und arbeitet als Fensterputzer in Prag. Eine Flucht von Teresa und Tomas in die Schweiz endet damit, dass Teresa das Exil, in dem Sabina inzwischen lebt, nicht erträgt und in die Tschechoslowakei zurückkehrt. „Für dich ist das Leben so leicht, für mich so schwer. Ich gehe wieder zurück in das Land der Schwachen.“ Tomas folgt Teresa und kehrt ebenfalls nach Prag zurück.

Wie soll nun dieser Roman enden? Das führt uns zurück zur anfangs gestellten Frage und zur Thematik des Romans. Was ist besser: leicht oder schwer? Die schwere Teresa hat den leichten Tomas auf ihre Seite gezogen, um den Preis, dass er alles verloren hat, was er ursprünglich war. Teresa ist durch ihre Liebe zu Tomas nicht leichter geworden und die Schwere ist in ihr geblieben.

Kundera greift zur Lösung des Problems zu einer Utopie und versetzt Tomas und Teresa aufs Land, wo sie in einer Idylle fernab der Stadt leben und eines Tages in einem glücklichen Moment ihres Lebens durch einen Unfall gemeinsam sterben.